Es ist schwierig, eine konkrete Zahl humanistischer Studierender in Deutschland zu nennen: Zählt jeder konfessionsfreie oder nichtreligiöse Student als Humanist? Was ist mit säkularen Christen, deren Werte kaum von denen eines modernen Humanismus zu unterscheiden sind? Oder sollten stattdessen nur diejenigen Studenten gezählt werden, die sich tatsächlich in humanistischen Verbänden und Hochschulgruppen organisieren? Je nach Berechnungsgrundlage kann die Zahl humanistischer Studierender damit extrem klein oder geradezu massiv erscheinen. Im Folgenden möchten wir deshalb einen Mittelweg wählen, der über die in den humanistischen Verbänden und Gruppen organisierten Individuen hinausgeht. Dies erscheint uns insbesondere mit Blick auf die Struktur der muslimischen Gemeinden in Deutschland zielführend: Nur ein Bruchteil aller in Deutschland lebenden Muslime ist Mitglied eines Moscheevereins, und selbst die großen muslimischen Organisationen können nicht für sich beanspruchen, eine mehr als fünfstellige Zahl von Personen zu vertreten. Gleichzeitig möchten wir es jedoch vermeiden eine Vereinnahmung von Menschen vorzunehmen, die ihren Werten und Lebensvorstellungen nach möglicherweise als humanistisch zu bezeichnen wären, aber sich diesen Begriff selbst (möglicherweise auch aus schlichter Unkenntnis) nicht zu eigen machen.

Die Jugendweihe

Für diese Abschätzung eignet sich unseres Erachtens die Menge der unter jungen Menschen nachgefragten weltanschaulichen Dienstleistungen und Rituale, die von humanistischen Verbänden und Organisationen angeboten werden, und darunter insbesondere jene, welche eine bewusste Entscheidung für eine humanistische Weltanschauung voraussetzen: Die bekanntesten Beispiele hierfür sind Namensfeiern, Jugendfeiern oder -weihen, Trauungen und Trauerfeiern. Im Speziellen ist hierbei die Jugendweihe hervorzuheben. Nicht nur liegen für dieses Ritual verlässliche Daten zu Teilnehmerzahlen vor, die Entscheidung für eine Jugendweihe erfolgt auch im religionsmündigen Alter (14 Jahre) und stellt ein bewusstes Bekenntnis zu einer humanistischen Weltsicht in Abgrenzung von religiösen Alternativen (Firmung, Konfirmation) dar. Das Ritual verfügt dabei über eine lange Historie: Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Jugendweihe als freireligiöse und freidenkerische „Jugendaufnahme“ in den freigeistigen Gemeinschaften Deutschlands üblich. Dabei blieben viele Bestandteile dieses Festes trotz wechselhafter Geschichte bis heute erhalten.

Jugendweihlinge in Deutschland

Die Jugendweihe wird einmalig im Leben begangen und ist daher für eine Personenzählung geeignet (eine Feier entspricht einem Humanisten). Aus diesem Grund werden wir im weiteren Verlauf die Anzahl der Jugendweihlinge an den Universitäten und Hochschulen in Deutschland zu bestimmen suchen. Sie ist die beste Annäherung an die Anzahl der tatsächlichen humanistischen Studierenden. Die Zahl der Jugendlichen zu bestimmen, die jedes Jahr eine Jugendweihe ablegen, ist dabei nicht so simpel, wie man es sich wünschen würde: Zwar existiert mit der Jugendweihe Deutschland e.V. ein Dachverband, welcher genaue Daten über die Zahl der durchgeführten Feierstunden der einzelnen regionalen Jugendweiheorganisationen zur Verfügung stellt (1), jedoch umfasst dieser nicht die Aktivitäten des Humanistischen Verbands Deutschland, welcher in mehreren Bundesländern ebenfalls Jugendweihe-Veranstaltungen unter dem Namen Jugendfeier anbietet. Zudem existiert insbesondere seit der Jahrtausendwende eine schwer abzuschätzende Zahl von lokalen Initiativen und Vereinen die Jugendweihen anbieten und welche sich nicht im Dachverband organisiert haben. Aus diesem Grund unterschätzen die offiziellen Zahlen die tatsächliche Menge der jungen Humanisten deutlich.

Eine Lösung für dieses Problem liefert die Studie “Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (AID:A)” (2) aus dem Jahr 2012: Hierbei handelt es sich um die einzige repräsentative Untersuchung, welche den prozentualen Anteil von Jugendweihlingen unter 2009 14 bis 33-Jährigen umfasst. Dadurch können Abschätzungen vorgenommen werden, wie viele Schüler tatsächlich Jahr für Jahr eine Jugendweihe ablegen: Dies trifft bei den 2009 14-Jährigen auf ca. 8% zu, ein Wert, welcher auch in den vorangegangenen Jahren mit Werten von 7-11% nur leicht schwankt. Wenn man dies in Relation zu den Geburten des Jahrgangs 1995 setzt, ergibt sich eine Zahl von 61 200 Jugendweihlingen. Die Zahlen des Jugendweiheverbandes melden für das Jahr aber nur 25 037 Teilnehmer, was ungefähr 40% der Anzahl aus der Untersuchung entspricht. Für 2008, 2007 und in schwächerer Form für die vorangegangenen Jahre ergeben sich sehr ähnliche Werte. Erst in der Zeit vor dem Jahr 2000 nähern sich die Daten des Jugendweiheverbandes dem Gesamtwert der Jugendweihlinge sichtbar an. Dementsprechend legen also ca. 60% aller jungen Humanisten in diesem Jahrtausend ihre Jugendweihe bei lokalen Organisationen ab, die nicht Teil des Dachverbandes sind. In der Gruppe der 2017 18 bis 29-Jährigen (also bei all jenen, die zwischen 2002 und 2013 ihre Jugendweihe absolviert haben, sodass der 40%-Wert als valide gelten kann) befinden sich alleine mehr als 650 000 Jugendliche, die an den Jugendweihefeiern des Jugendweihe Deutschland e.V. teilgenommen haben. Die gesamten Teilnahmezahlen müssen also für jedes Jahr entsprechend neu berechnet werden: Wir erhalten (650000 / 40) × 100 = 1.625 Millionen Humanisten in der Gruppe der 18-29-Jährigen.

Um von diesen Daten Rückschlüsse auf die Zahl der humanistischen Studierenden zu ermöglichen, greifen wir auf einen weiteren sozialwissenschaftlichen Datensatz zurück: Das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) (3), Deutschlands größte Wiederholungsbefragung, in welcher Teilnehmer jährlich repräsentative Informationen zu sozialen, ökonomischen, gesundheitlichen und psychologischen Sachverhalten mitteilen.

Humanistische Studierende

Mit Hilfe dieser Daten können wir bestimmen, wie viele Konfessionsfreie eine Hochschule besuchen. Zur Vereinfachung des Sachverhaltes beschränken wir uns dabei auf die genannte Altersgruppe der 18-29-Jährigen, aus welcher sich die deutliche Mehrzahl aller Studenten rekrutiert. Hier beträgt der Anteil der konfessionsfreien Studenten im Jahre 2015 17%, welchen wir als Annäherung an die Studentenquote der Humanisten in dieser Altersspanne heranziehen. Ausgehend vom oben genannten Wert von 1.625 Millionen Humanisten kommen wir somit auf ungefähr 276 250 Studenten, welche in ihrer Jugend eine Jugendweihe und damit ein humanistisches Glaubensbekenntnis abgelegt haben. Dies entspricht ungefähr 10% aller Studierenden im Jahr 2017 (4).

Um einen besseren Vergleich herzustellen: Ungefähr 25% der in Deutschland lebenden Muslime waren laut SOEP 2015 zwischen 18 und 29 Jahren alt, was ausgehend von Zahlen des BAMF (5) ungefähr 1 Million Menschen entspricht. Auch unter Muslimen liegt der Anteil von Studierenden nach Angaben des SOEP bei knapp unter 17%. Somit kommen wir auf ca. 170 000 muslimische Studenten.